Erst schießen, dann zielen


Spätestens seit den Westernfilmen mit John Wayne weiß hierzulande jeder, dass das amerikanische Rechtssystem eben anders als das deutsche ist. Dort wird schon gelegentlich mal zuerst geschossen und dann gezielt. Ob der, auf den dann der Sheriff gerade schießt, auch wirklich der Bösewicht war, spielt dann oft keine große Rolle mehr.

Die Aktionäre von Altria, früher Philip Morris, kennen dies nur allzu gut. Vor etwa 25 Jahren haben findige amerikanische Rechtsanwälte den sehr hohen Cashflow von Philip Morris in den Blick genommen, um für krebskranke Mandanten hohe Schadensersatzzahlungen herauszuholen. Ob das Rauchen in jedem dieser Fälle trotz vorheriger Warnung Lungenkrebs verursacht hat und dass Philip Morris auf die Risiken des Rauchens hingewiesen hat, spielte dann keine Rolle mehr.

Viele Jahre später und nachdem zumindest ein Anwalt sich ein sehr schönes großes Haus gebaut hatte, mussten Philip Morris und die anderen amerikanischnen Tabakunternehmen einem großen Vergleich zustimmen, der über viele Jahre sehr hohe Zahlungen an Krebspatienten festlegte.

Dass dieser Vergleich sich auch sehr positiv auf die Honorare der Rechtsanwälte auswirkte, ist in USA eine Selbstverständlichkeit. Die Zahlungen wurden in einer Höhe festgelegt, dass die betroffenen Firmen dies aus dem Cashflow bezahlen konnten, ohne die Existenz der Unternehmen zu gefährden. Dennoch waren diese Zahlungen eine große Belastung der Gewinnentwicklung.

Die Aktionäre von Bayer sind gut beraten, sich jetzt diese Entwicklungen in den Tabakprozessen genau anzusehen und nachzurechnen. Denn auch hier haben findige amerikanische Rechtsanwälte den Cashflow von Bayer, der im Jahr immerhin bei knapp 10 Milliarden Euro liegt, ebenso ins Visier genommen wie früher den von Philip Morris. Dabei spielt es, ebenso wie früher bei Philip Morris, keinerlei Rolle, ob Roundup gesundheitsschädlich ist oder nicht und ob Monsanto vollständige Gebrauchsinformationen herausgegeben hat.

Bayer hat bisher die Abweisung der Roundup-Klagen verlangt, ist aber in verschiedenen Fällen zu Schadensersatz verurteilt worden. Jetzt scheint sich die Prozessstrategie des Unternehmens zu ändern und es dürfte früher oder später Vergleichsverhandlungen geben. Es sind bisher immerhin 13.400 Klagen anhängig, und so bald sich Vergleichsverhandlungen herumsprechen, könnten es auch noch einige Tausend mehr werden. Daraus könnte dann eine Gesamtsumme gebildet werden, die Bayer in der Folge aus dem jährlichen Cashflow über beispielsweise 10, oder auch 20 Jahre abtragen kann. Dabei darf die Existenz des Unternehmens und auch die weitere Investitionsfähigkeit nicht beeinträchtigt werden. Über Auswirkungen auf die Dividendenzahlungen läßt sich noch nichts sagen. Bei Philip Morris wurden jedenfalls auch weiterhin nach Vergleichsabschluss immer Dividenden bezahlt.

Die Aktie von Bayer Börsen-Chart zeigen hat in den vergangenen vier Jahren mehr als die Hälfte ihres Wertes verloren. Auf jetziger Basis beträgt das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) für den für das laufende Jahr zu erwartenden Gewinn gerade einmal 8. In diesen Bewertungen sind existenzgefährdende Prozessrisiken enthalten.

Wenn nun nach zu erwartenden langwierigen Verhandlungen ein umfassender Vergleich erreicht wird, dürfte das Niveau vor Bekanntwerden der Kursänderung des Unternehmens um die 55 Euro nach unserer Meinung eine Kaufgelegenheit für langfristige Investoren darstellen. Es ist allerdings je nach Fortgang der Vergleichsverhandlungen mit sehr starken Schwankungen in beide Richtungen zu rechnen.

© manager magazin 2019

 



 

 

 


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