"Modern Monetary Theory" - Das Versagen der vermeintlich modernen Geldtheorie


In Amerika wird gerade die neue Lehre der "Modern Monetary Theory" intensiv diskutiert. Wie fast immer, wenn etwas Neues in Amerika entwickelt wird, lohnt es sich, genauer hinzusehen, denn es könnte sich ja um die nächste Microsoft oder Amazon handeln. Hier ist es zwar ein finanzpolitisches Konzept, aber es lohnt sich trotzdem, genauer hinzusehen.

Die "Modern Monetary Theory" besagt, dass nicht wie bisher die Notenbanken die Konjunktur ins Gleichgewicht bringen sollen, sondern die Staaten über ihr Budget. Wenn zum Beispiel die Arbeitslosigkeit steigt oder große Investitionen für die Energiewende zu stemmen sind, soll der Staat mehr ausgeben, um wieder für Vollbeschäftigung oder eben für die Energiewende zu sorgen. Die Verbindlichkeiten daraus, also Kredite oder Anleihen, soll dann die Notenbank zeichnen.

Die Regierung kann dann nach Belieben die Ausgaben erhöhen, ohne dass die Verschuldung eine Rolle spielt. Nur wenn dies zur Inflation führt, soll der Staat die Ausgaben reduzieren und die Steuern erhöhen. Damit soll auch die Inflationsbekämpfung nicht mehr Aufgabe der Notenbank, sondern der Regierung werden.

Voraussetzung ist, dass ein Land eine eigene Währung mit eigener Notenbank hat, so wie zum Beispiel die USA, England oder die Schweiz. In der Eurozone wäre dies theoretisch auch möglich, aber nur dann, wenn alle Mitgliedsländer der Eurozone sich darauf verständigen.

Dies alles klingt auf den ersten Blick hochinteressant, vor allem da die Regierungen auf diese Weise sehr viel mehr Handlungsfähigkeit haben und beispielsweise die von vielen Akteuren ungeliebte Schuldenbremse oder auch die Maastricht-Kriterien über die Staatsverschuldung schlichtweg abgeschafft würden.

So modern, innovativ und uramerikanisch wie dies klingt, ist es jedoch nicht. Denn ausnahmsweise einmal ist das alte Europa dem modernen innovativen Amerika um Jahrzehnte voraus. Denn das Konzept der modernen Geldtheorie wurde intensiv ausprobiert, und zwar in Italien und Frankreich.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren sowohl die Banque de France als auch die Banca d'Italia dem Finanzministerium gegenüber weisungsgebunden. Die Banca d'Italia war zeitenweise eine Abteilung des Schatzministeriums. Und hier wurde genau das praktiziert, was uns jetzt als angeblich hochinteressante neue Theorie aus Amerika präsentiert wird.

Dem gegenüber stand das Konzept der deutschen Bundesbank, die von der Politik unabhängig und nur der Inflationsbekämpfung verpflichtet war. In dieser schönen neuen Welt konnten die Regierungen in Paris und Mailand nach Herzenslust für alle möglichen mehr oder weniger nützlichen Zwecke das Geld der Steuerzahler ausgeben. Die Notenbank musste immer die Schulden aufkaufen. In Deutschland dagegen wurde streng auf die Inflationsbekämpfung geachtet und jedenfalls bis 1969 darauf, dass nicht mehr ausgegeben werden konnte als eingenommen wurde. Und dass bei Aufkommen von Inflation, was in diesem Fall zwangsläufig ist, gegengesteuert werden müsste, geriet in Paris und Rom sicher nicht ganz zufällig in Vergessenheit.

Nun kam es wie es kommen musste: In Paris und Rom gaben die Regierungen das Geld der Steuerzahler großzügig aus, und die Notenbanken mussten die Schulden aufkaufen. Dadurch entstand Inflation und die Währungen werteten gegenüber der stabilitätsbewussten D-Mark kräftig ab. Durch die Inflation, besonders in Italien, wurden die Guthaben der kleinen Sparer zerstört. Hierbei tat sich besonders die angeblich christlichen Werten verpflichtete und die meiste Zeit die Ministerpräsidenten stellende Democrazia Christiana hervor.

Heute fragt sich mancher risikoscheue Sparer in Deutschland, warum denn die CDU-geführte Bundesregierung stillschweigend zusieht, wie durch die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank keine Erträge mehr auf den Sparkonten erzielt werden, und sogar durch die nach wie vor bestehende Inflation ein schleichender Vermögensverlust eintritt.

Die Folgen der nicht ganz so modernen Geldtheorie

Diese also nicht so ganz moderne Geldtheorie führte dann dazu, dass sich der französische Franc zwischen 1962 und 1989 von 0,80 DM auf 0,62 DM oder 62 Prozent abwertete. Die italienische Lire fiel in derselben Zeit von 0,65 DM auf 0,14 DM oder 78 Prozent. Inflation und Kaufkraftverlust führten in beiden Ländern zu sozialen Unruhen, da die angeblich kleinen Leute sehr wohl sahen, wie ihre Regierungen den Wert ihres Geldes zerstörten.

Daraufhin dämmerte es ab etwa 1980 den wenigen verbliebenen weitsichtigen Politikern in Paris und Rom, dass es so nicht weitergehen konnte und man lieber auf die eine oder andere Weise den Anschluss an die Hartwährungspolitik Deutschlands finden sollte. Dies war die Geburtsstunde der Bindung der Währungen an einander und damit der viel späteren Europäischen Währungsunion. Alle wollten nur noch möglichst schnell ihre Notenbanken unabhängig machen und die Arbeitsweise am Muster der Deutschen Bundesbank ausrichten. Dies war dann die Geburtsstunde der Ideen, die 20 Jahre später zur Gründung der EZB führten.

Im französischen und italienischen Praxistest hat also das, was uns heute als "Modern Monetary Theory" wärmstens empfohlen wird, zum Schaden von Millionen Sparern und der ganzen beteiligten Volkswirtschaften kläglich versagt. Heute sehen alle maßgeblichen Fachleute in Frankreich und Italien die Währungsunion und das aus Deutschland übernommene Hartwährungsprinzip als die Rettung aus der Schulden- und Inflationsspirale der 60er und 70er Jahre. In Paris und Rom wollte jedenfalls niemand mehr zu dem zurück, was heute die "Modern Monetary Theory" sein soll.

Aktienmärkte zur Bedeutungslosigkeit abgewürgt

So weit die Ergebnisse aus dem Praxistest. Wie vorherzusehen war, wurden die Aktienmärkte Italiens und Frankreichs in den 1960er bis 1980er Jahren zur Bedeutungslosigkeit abgewürgt.

Für Anleger in Aktien- oder Rentenmärkten hat diese ganze Theorie im Moment keine besondere Bedeutung. Aber, sollte irgendein Land auf die Idee kommen, diese "Modern Monetary Theory", also in Wirklichkeit "Disastrous Monetary Theory" einzuführen, sollten Anleger schnellstens Reisaus nehmen und alle Staatsanleihen und Aktien des betreffenden Landes sofort bestens verkaufen. Ein Blick auf den Kursverlauf von Fiat oder Peugeot in der oben beschriebenen Zeit reicht völlig aus.

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